Nutzung der Kernfusion – Ehemaliger NGK-Schüler an der Entwicklung beteiligt

von | Mo, 26. Jun. 2023

Das Thema „Kernenergie“ wird nicht erst seit kurzem in der Öffentlichkeit diskutiert. Da die Kernspaltung immer noch, sowohl mit möglichen Unfällen als auch mit der noch fehlenden sicheren Endlagerungsmöglichkeit des radioaktiven Abfalls, in Verbindung gebracht wird, ist diese Art der Energiebereitstellung verständlicherweise in der Diskussion. Aber auch die Verschmelzung (Fusion) zweier Atomkernbestandteile zählt zur Energieumwandlung aus Atomkernen. Diese ist im Gegensatz zur Spaltung weitaus weniger bis gar nicht mit Risiken behaftet. Zwar macht es uns die Sonne jeden Tag vor, dennoch ist der Durchbruch zur Verwendung dieser Technologie auf der Erde noch nicht gelungen. Ein Team aus Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern an den Lawrence Livermore National Laboratory (LLNL) in Kalifornien soll nun einen großen Schritt vorangekommen sein, wenn man die Berichte der internationalen Presse liest. Am Erfolg der Forschergruppe ist mit Herrn Michael Stadermann ein ehemaliger Schüler des Norbert-Gymnasiums beteiligt. Herr Stadermann stand dem Vorsitzenden des Vereins der Ehemaligen, Herr Markus Schmitz, freundlicherweise zu einem Interview bereit.

Herr Schmitz: Die Tagesschau sprach im Dezember letzten Jahres von einem „Durchbruch“ in der Kernfusionsforschung. Vielleicht können Sie kurz sagen, warum man das so sehen kann.

Herr Stadermann: Kernfusion wird seit langem schon erfolgreich im Labor durchgeführt. Bislang wurde dem Prozess aber immer mehr Energie zugeführt, als daraus gewonnen werden konnte. Im Dezember hat das LLNL-Team zum ersten Mal demonstriert, dass man aus einer solchen Reaktion mehr Energie kontrolliert freilassen kann, als mit den 192 Laserstrahlen hineingesteckt wurde. Man bezeichnet das als „ignition“, und hat damit demonstriert, dass Energiegewinnung technisch möglich ist. Das Ergebnis ist mit dem ersten motorisierten Flug der Wright-Brüder vergleichbar: Sie sind zwar nur 250 Meter geflogen, sie haben aber damit gezeigt, dass Fliegen technisch machbar ist. Das LLNL-Ergebnis war besonders bedeutsam, weil es nicht sicher war, ob die National Ignition Facility überhaupt genügend Energie hat, um „ignition“ zu erreichen, und namhafte Experten hatten ein paar Jahre zuvor noch bescheinigt, dass es nicht möglich wäre.

Herr Schmitz: Was war Ihre Aufgabe in diesem komplexen Vorhaben?

Mein Anteil an diesem Vorhaben besteht darin, die Targets, also die Versuchsaufbauten, die mit den Laserstrahlen beschossen werden und auch die Kapsel mit dem Brennstoff enthalten, zu entwickeln und an die Facility zu liefern. Der Erfolg des Ergebnisses hängt viel von der Qualität dieser Targets ab, vor allem von der Qualität der Brennstoffkapseln. Vor 15 Jahren habe ich in dieser Gruppe als Materialwissenschaftler neue Materialien entwickelt, um Fusion zu ermöglichen, und heute bin ich der Program-Manager für die gesamte Abteilung (Anm. d. Red: Bestehend aus mehr als 100 Personen).

Herr Schmitz: Wie sehen Sie persönlich die Chancen, dass Fusionsreaktoren zeitnah und weltweit als Energiequelle zur Verfügung stehen?

Kernfusion ist ein extrem komplexes Unterfangen und die Entwicklung benötigt eine Menge Aufwand. Wie schnell Fusionsreaktoren als Energiequelle zur Verfügung stehen können, hängt hauptsächlich davon ab, wie viele Mittel zur Verfügung stehen. Wenn die USA Fusionsenergie als „grand challenge“ annimmt – so wie sie die Entwicklung der Atombombe oder den bemannten Flug zum Mond als „grand challenge“ angenommen hat, dann könnte ich mir vorstellen, dass mit dem Bau der ersten Reaktoren innerhalb der nächsten zehn Jahre begonnen werden könnte. Die Wahrscheinlichkeit, Fusionsreaktoren zeitnah zur Verfügung zu stellen, hängt hauptsächlich von dem Willen der Politik und der Industrie ab, dies zu tun.

Herr Schmitz: Auch wenn das Thema „Kernfusion“ verständlicherweise nun mit Ihrem Namen in Verbindung gebracht wird, so ist das sicherlich nur eines Ihrer Forschungsgebiete. Was sehen Sie noch als eines Ihrer interessanten Forschungsthemen?

Ich habe mich schon als Jugendlicher für „grüne“ Technologie begeistert und die Begeisterung ist mir ins Berufsleben gefolgt. Außer an Kernfusion habe ich auch sehr intensiv an Energiespeicherung und Wasserentsalzung mittels Kondensatoren gearbeitet. In beiden Fällen lag der Schwerpunkt auf der Optimierung der Elektrodengeometrie, um dadurch die Energie- und Leistungsdichte zu erhöhen.

Herr Schmitz: In Europa (ITER in Südfrankreich und Wendelstein 7-X in Greifswald) wird ebenfalls an der Nutzung der Kernfusion geforscht. Es fällt immer wieder auf, dass gut ausgebildete deutsche Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler dennoch eher in außereuropäischen Ländern aktiv sind. Vielleicht können Sie ihren beruflichen Weg in die USA kurz skizieren.

Nach meinem Abitur am Marie-Curie-Gymnasium in Neuss habe ich an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf das Chemiestudium begonnen. Nach dem Vordiplom ging ich in die USA nach Chapel Hill, North Carolina, zuerst für ein Jahr über den Deutschen Akademischen Austauschdienst. Die Möglichkeiten an der University of North Carolina beeindruckten mich sehr, und ich blieb dort und machte meinen PhD (Anm. d. Red.: Doktortitel) in Nanotechnologie. Während des Studiums traf ich meine Frau, was meine Entscheidung festigte, in den Staaten zu bleiben, und nach dem Studium fing ich bei LLNL als Postdoc an, und direkt danach startete meine Karriere mit Target Fabrication in NIF.

Herr Schmitz: Sie haben leider nicht am NGK, sondern an einer anderen Schule ihr Abitur abgelegt. Was ist Ihnen aus Ihrer Schulzeit (auch hier) im Gedächtnis geblieben?

Ich kann mich noch sehr gut an den Herrn Odenthal und den Herrn Reske erinnern, die beide meine Leidenschaft für Wissenschaft und Mathematik entzündet haben. Aber es war Herr Zündorf, der mich auf den Pfad der Chemie gebracht hat. Am Ende habe ich das NGK verlassen, weil dort kein Chemieleistungskurs zustande kam. Das Marie-Curie-Gymnasium hatte einen Chemieschwerpunkt mit mehreren hochqualifizierten Lehrern und mein LK Lehrer Dr. Hedding festigte dann endgültig meinen Werdegang als Chemiker. In diesem Zeitraum wechselte das NGK von einer Jungenschule über zur Koedukation, und mein Abiturjahrgang (1996) war erst der zweite mit Mädchen. Das gemischte Umfeld in Neuss sprach mich deutlich besser an.

Herr Schmitz: Am Norbert-Gymnasium wurden in den letzten Jahren nicht nur die Räumlichkeiten der naturwissenschaftlichen Fächer für Schüleraktivitäten und eigene Forschungsmöglichkeiten auf den neuesten Stand gebracht. Was möchten Sie persönlich den Kolleginnen und Kollegen in den Schulen mit auf den Weg geben, um Kinder für ihre Fächer zu begeistern und auch Forschernachwuchs zu generieren?

Ich beobachte häufig, dass Wissenschaft als Ansammlung von Fakten präsentiert wird, anstatt dem Entdeckungsprozess, der sie tatsächlich ist. Die Begeisterung wird am besten vermittelt, wenn man die Kinder an dem Entdeckungsprozess teilhaben lässt. Es sollten nicht nur Experimente durchgeführt werden, sondern auch die Bedeutung der Experimente klargemacht werden. Am besten auf eine Weise, die die Schüler persönlich einbindet, vielleicht ein Gruppenprojekt oder eine allgemeine Frage, die am Anfang des Schuljahrs präsentiert wird. Kontext ist zur Motivation extrem wichtig; wenn die Kinder verstehen, welche Anwendungen auf dem vermittelten Material basieren, ist es viel einfacher, sie zu begeistern.

von Markus Schmitz

Michael Stadermann (3. v.r.)